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29. Oktober 2015

Er lebte ein freiheitliches Menschenbild

Wir nehmen Abschied von einer grossen und starken Persönlichkeit: von Hans Letsch, Begründer der Aargauischen Stiftung für Freiheit und Verantwortung in Politik und Wirtschaft.

Nachruf: Der frühere Ständerat Hans Letsch ist im 92. Altersjahr verstorben.

Aargauer Zeitung, vom 29. Oktober 2015

«Am 18. Oktober 2015, dem eidgenössischen Wahltag, ist Hans Letsch, der während 16 Jahren der Aargauer Deputation in den eidgenössischen Räten angehörte, in seinem 92. Altersjahr verstorben und am 26. Oktober 2015 seinem Wunsch gemäss im engsten Familienkreis in Aarau beigesetzt worden.

Wir nehmen Abschied von einer grossen und starken Persönlichkeit: von Hans Letsch, dem Politiker, Unternehmer und Wissenschafter, der «Kraft, Überzeugung und Ideen sein Leben lang in den Dienst der Gemeinschaft gestellt und den Milizgedanken damit vorbildlich in die Tat umgesetzt hat, der stets mutig und unerschrocken für die Soziale Marktwirtschaft eingetreten ist und sich im Geiste einer ordnungspolitisch freiheitlichen Staats- und Wirtschaftsphilosophie für eine harmonische Zusammenarbeit von Individuum und Gesellschaft, von Freiheit und sozialer Verantwortung des Einzelnen eingesetzt hat.» So wurden Auszeichnungen, die Hans Letsch entgegennehmen durfte, begründet (Freiheitspreis 1984 Hochschule St. Gallen, Jahrespreis 1994 der Stiftung für Abendländische Besinnung). Sie erhellen in wenigen Worten, wofür Hans Letsch gelebt hat.

Hans Letsch, am 31. März 1924 in Rheineck geboren, war nach seinem Studium an der Universität Zürich zunächst in der öffentlichen Verwaltung tätig: 1952 als Chef der Finanzkontrolle in der Finanzdirektion des Kantons Aargau, von 1959 bis 1961 als Finanzinspektor der Stadt Zürich, bis 1968 als Chef der Finanzverwaltung des Kantons Aargau; 1968 berief ihn Bundesrat Hans Schaffner als Generalsekretär des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements nach Bern. 1970 wechselte er in die Privatwirtschaft (in geschäftsleitender Funktion und später als Vizepräsident des Verwaltungsrates bei der V-Zug). In der Folge wurde er auch von verschiedenen Firmen in deren Verwaltungsrat berufen (u.a. Sandoz, BBC, Dätwyler, Hero, Jura-Zement). In den Achtzigerjahren präsidierte er auch den Schweizerischen Arbeitgeberverband. Als Titularprofessor an der Hochschule St. Gallen wurde er mit einem ständigen Lehrauftrag für Fragen der Finanz- und Wirtschaftspolitik betraut.

1979 Wahl in den Ständerat

In Aarau wohnhaft geblieben, wurde er auf Anhieb auf der freisinnigen Liste 1971 in den Nationalrat gewählt. 1979 wechselte Hans Letsch nach einem heftigen Wahlkampf in den Ständerat, wo er zusammen mit dem CVP-Ständerat Julius Binder acht Jahre lang bis 1987 eine einmalig starke und einflussreiche aargauische Standesvertretung bildete.

Das politische Wirken Hans Letschs fusste auf einem durch und durch freiheitlichen Menschenbild. Entsprechend war für ihn eine freiheitliche Ordnungspolitik und dazu gehörend die Soziale Marktwirtschaft im Sinne Ludwig Erhards (nicht die heutige «sozialisierte Marktwirtschaft») die Grundlage für sein politisches Wirken. Sie umfasst mehr als Markt und Wettbewerb und bedingt einen Staat, der «ordnet und nicht lenkt». So versuchte Hans Letsch mit einer eindrücklichen Prinzipientreue vor allem die Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik mitzugestalten und der «fatalen und trügerischen Staatsgläubigkeit», dem «Machbarkeitswahn» und der «Arroganz der Macht» vieler Politiker, der Überforderung von Staat und Wirtschaft entgegenzuwirken – nicht nur in der praktischen Politik, sondern auch publizistisch. Seine zahlreichen Publikationen vom wegweisenden Werk «Soziale Marktwirtschaft als Chance – Die Schweiz auf dem Prüfstand» (1992) bis zur mahnenden und warnenden Schrift «Ikarus – Übermut fordert seinen Preis» (2004) sind ein bleibendes Vermächtnis.

Mit «innerer Gelassenheit» verfolgte Hans Letsch in seinen letzten Lebensjahren das für die Sache der Freiheit nicht gerade erfreuliche politische Geschehen, die Dinge hinnehmend, die er nicht ändern konnte, aber wohlwissend, dass er seine Pflicht erfüllt hat – so wie er es einmal formuliert hat: «Wenn sich aus dem Recht, Mensch zu sein, der Anspruch auf Freiheit ableitet, so führt die Pflicht, Mensch zu sein, in die Verantwortung sich selber und einer weiteren Umgebung gegenüber.»

Woldemar Muischneek, in Aargauer Zeitung vom 29. Oktober 2015